Versicherungen: Bündelprodukte für alle?

Versicherungen:
Bündelprodukte
für alle?

Viele Assekuranzen bieten ihren Kunden Bündelprodukte an. Das hat für beide Seiten Vorteile – allerdings fällt es den Versicherern initial oft schwer, ihre Leistungen für den digitalen Vertrieb in individuelle Module zu zerlegen. Sascha Langfus über Kunden, Bündelprodukte und die Tücken der Technik.

Bündelprodukte sind im Interesse des Versicherungskunden

Haftpflichtversicherung, Hausratversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Lebensversicherung, Rechtsschutzversicherung, Zahnzusatzversicherung, Cyberversicherung, … Man kann sich gegen – beinahe – jedes Risiko versichern. Aber wer will schon gleich mehrfach den Prozess eines Versicherungsabschlusses durchlaufen? So intuitiv, schnell und komfortabel er auch sein mag.

Es sei wie mit dem tapferen Schneiderlein und den sieben Fliegen auf einen Streich, schrieb DIE ZEIT vor etlichen Jahren (2011) über Bündelprodukte bei Versicherungen. Dieses Bild funktioniert in etwa so: Das Schneiderlein ist der Versicherungsnehmer, die Fliegen sind die Schutzleistungen, die er benötigt. Fliegen zu jagen ist hochgradig nervig (okay, Barack Obama ist ein Meister darin) – ein passendes Bild also für die Art und Weise, wie damals, als der Artikel in der ZEIT erschien, Versicherungen abgeschlossen wurden. Sieben auf einen Streich? Das war noch eine recht neue Idee für die Branche. Der Gedanke dahinter: Statt sieben mal den gleichen Prozess bis zum Abschluss zu durchlaufen, kann der Kunde Zeit sparen, indem er sich die gewünschten Schutzleistungen zu einem Bündel schnürt und gemeinsam abschließt. Sieben auf einen Streich statt sieben in sieben Streichen. Eine gute Idee, die dem Kunden viel Zeit spart und der Versicherung die Möglichkeit gibt, individuelle Zusatzleistungen während des Abschlussprozesses zu empfehlen. Aber es gibt einen Stolperstein dabei: die Technik.

Betrachten wir die drei unterschiedlichen Dimensionen dabei:

Der Kunde und seine Wünsche

Der Kunde ist der Dreh- und Angelpunkt. Sein Wille wird zum Geschäftsmodell, nur was er nachfragt, kann man ihm verkaufen. Aber was fragt er nach? Kennt der Kunde das gesamte Angebot und kann wirklich entscheiden, was “sein Wille” ist? Denn was der Kunde insbesondere nicht will, ist, sich in komplexe Versicherungsthemen einzuarbeiten. Das wird ihm beim klassischen Online-Vertrieb aber abverlangt: Die traditionelle Produktübersicht auf einer Website führt ihn immer tiefer hinein in die Materie, er muss sich mit jedem Versicherungsprodukt einzeln beschäftigen und fast schon selbst “Experte” werden.

Hingegen nimmt ihm die mit der Schaffung von online vertriebenen Bündeln einhergehende Automatisierung diese Arbeit größtenteils ab. Bei einem Online-Bedarfscheck kann er recht einfach herausfinden, was sein Wille ist – orientiert an seiner individuellen Situation und seinen Bedürfnissen.

Aber wer ist “der Kunde” überhaupt, was zeichnet ihn aus?

  • Es gibt nicht “den einen Kunden”, sondern eine heterogene Zielgruppe mit stark unterschiedlichen Eigenschaften bei Ausbildung, Einkommen, verfügbarer Zeit etc.
  • Gemein haben die meisten dieser Kunden dennoch einiges: Sie sind anspruchsvoll, meistens Online-affin und Preis-Leistungs-bewusst.
  • Sie wünschen sich eine individuelle Betreuung, auch im digitalen Raum. Jeder Zweite hat bereits mindestens einmal eine Versicherung im Web abgeschlossen – aber auch die persönliche Beratung ist extrem wichtig.
  • Alle Kunden wollen, dass ihre Anliegen schnell geklärt werden. Ganz gleich ob beim Abschluss oder bei der Meldung eines Schadensfalles. Für Bürokratie fehlt meist das Verständnis.

Kurz gesagt: Versicherungskunden sind heute – wie wir alle – verwöhnt von dem, was große Internetkonzerne wie Amazon, Google, Netflix oder Apple ihnen bieten. Sie erwarten dasselbe heute von ihrer Versicherung: Hohe Geschwindigkeit, umfangreiche Transparenz, flexible Laufzeiten, Modularität bei der Leistungsauswahl.

Was heißt das dann für die Versicherer?

Die Versicherung und ihr Angebot

Ein Versicherer kann sich zwar ins stille Kämmerlein einschließen und neue Produkte entwerfen. Werden diese aber nicht nachgefragt, war die Arbeit umsonst (≠ kostenlos!). Wobei es für fast alles eine Nischenversicherung gibt, sogar gegen etwaige Folgen einer Entführung durch Außerirdische.

Was sollten Versicherer berücksichtigen, wenn sie sich an Bündelprodukte oder andere “Versicherungen von Morgen” wagen?

Der Versicherer sollte…

  • zugeschnittene Beratung und flexible Produkte bieten
  • jederzeit ansprechbar sein, Kontakt auch nach dem Verkauf halten
  • dabei eine altersgerechte Ansprache und zielgruppenorientierte Kommunikation wählen
  • mehr Transparenz und weniger Bürokratie bieten, um Vorgänge angenehmer und schneller zu gestalten
  • eine App für ALLES haben – aber auch persönlich ansprechbar sein
  • auch an seine Makler und Vermittler denken: Werden vor allem einfache Schutzleistungen (mit geringer Provision) automatisiert zu Bündeln zusammengestellt, haben diese wieder mehr Zeit für den persönlichen Vertrieb erklärungsbedürftiger Produkte (mit höherer Provision)

Die Versicherungsprodukte sollten…

  • individuelle, flexible Komplettangebote sein, die alles beinhalten
  • als Kombiprodukte angelegt sein und Leistungen von Partnern zubuchbar machen
  • sich automatisch an die Lebenssituation des Kunden anpassen können

Findet all das Berücksichtigung, dann kann ein Bündelprodukt zum Beispiel so aussehen:

Ein Beispiel für die Customer Journey

Erika Mustermann hat ein neues Fahrrad gekauft, das sie gegen Diebstahl versichern möchte. (Gute Idee, alleine in Köln wurden 2018 jeden Tag rund 25 Fahrräder gestohlen gemeldet.) Sie wählt über ein Vergleichsportal einen Versicherer aus und landet in dessen Online-Abschlussstrecke. Nun weiß der Versicherer bereits, dass die potentielle Kundin Radfahrerin ist. Er kann mit nur wenigen zusätzlichen Daten berechnen, ob es sinnvoll ist, eine Unfallversicherung mit anzubieten oder gar eine Hausratversicherung anbieten, bei der das Fahrrad mitversichert ist.

Doch es gibt einen Haken, der viele Versicherer daran hindert, derart individuelle Leistungen anzubieten:

Die Technik und ihre Tücken

Versicherungsunternehmen waren traditionell Vorreiter bei der digitalen Transformation. Schon sehr früh haben sie versicherungsmathematische IT-Systeme aufgebaut, die etwa bei der Beitragsberechnung und Risikobewertung unterstützen. Und es ist kein Paradoxon, dass genau das heute ein Problem ist: Die alten Systeme sind nicht auf hoch-individuelle Bündelprodukte vorbereitet. Und schon gar nicht darauf, den Kunden über ein modernes Web-Frontend selbst die Produktkonfiguration übernehmen zu lassen. Ausgerechnet die IT-Systeme aus der ersten Phase der Digitalisierung stellen die Anbieter also heute vor Probleme: “Der Umbau unserer Altsysteme ist mehr als schwierig”, gestand der Pressesprecher eines ungenannten Versicherers 2017 der “Versicherungswirtschaft heute”.

Die IT-Modernisierung “ist eine Herkulesaufgabe” (Bain & Company). Sie zu lösen ist eine riesige Herausforderung, die im Extremfall viele Jahre dauern kann. Für schnelle Ergebnisse an der digitalen Kundenschnittstelle (dem Web oder der App) muss deshalb eine Lösung her, bei der die Altsysteme unangetastet bleiben und auch keine neuen Schnittstellen zu modernen Technologien integriert werden müssen. Hierfür bietet sich eine “Zwischenschicht” (Layer) zwischen interner IT und den Kundenanwendungen an. Denn das ist eine zeitlich schnell lösbare Aufgabe. Große Versicherer wie der HDI verfahren so, um ihren Kunden stets moderne Frontends anbieten zu können, ohne das Backend dafür in eine permanente Baustelle zu verwandeln. HDI setzt dafür auf eine eigene Technologie von Avenga, die heute als “couper.io” vertrieben wird.

Mit solchen Lösungen können Versicherer auch komplexe Bündelprodukte deutlich schneller als zuvor für den Online-Vertrieb bereitstellen und an ihre bestehende Backends anbinden. Das unterstützt direkt und langfristig den Vertrieb und ermöglicht den Versicherern, die Modernisierung ihrer Altsysteme in längeren Zyklen zu planen.

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